Die (Nicht-) Anwendung ausländischen Rechts durch spanische Gerichte - am Beispiel des Urteils der Audiencia Provincial de Alicante v. 21.07.2009-
Nicht selten kommt es vor, dass eine Klage vor einem spanischen Gericht eingereicht wird, in der Sache aber deutsches Recht anwendbar ist. Gerichtliche Zuständigkeit (Spanien) und anwendbares (deutsches) Recht fallen dann auseinander. Der Beitrag bietet einen ersten Überblick über die Besonderheiten, die in einem solchen Fall vor spanischen Gerichten zu beachten sind.
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte beim erstinstanzlichen Gericht Provisionsansprüche aus einem Handelsvertretervertrag eingeklagt. Das erstinstanzliche Gericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung. In der Berufung machte die Beklagte nunmehr geltend, der Rechtsstreit sei unrichtig entschieden worden, denn in der Sache sei nicht spanisches Recht, sondern vielmehr das des US-Bundesstaates Georgia anwendbar. Nach diesem bestehe der Anspruch des Handelsvertreters nicht, weshalb das erstinstanzliche Urteil den Sachverhalt falsch beurteilt habe und die Klage abzuweisen sei.
II. Die Maßstäbe für die Anwendung ausländischen Rechts vor spanischen Gerichten
Das sorgfältig begründete Urteil des Berufungsgerichts wies das eingelegte Rechtsmittel zurück. Allerdings ist weniger das Ergebnis, sondern eher die Begründung des Gerichts von Interesse.
1.
Spanische Gerichte prüfen von Amts wegen, welche Rechtsordnung anwendbar ist. Dies sieht Art. 12 Abs. 6 des spanischen Zivilgesetzbuchs vor.
2.
Ist nach den Vorschriften des spanischen Internationalen Privatrechts oder nach internationalen Abkommen demnach ein ausländisches Recht – hier z.B. das Recht des US-Bundesstaates Georgia - anwendbar, so findet dieses gleichwohl nicht „automatisch“ Anwendung. Die Rechtslage nach ausländischem Recht wird nämlich nicht durch das Gericht ermittelt. Dies hängt damit zusammen, dass fremdes Recht durch die spanischen Gerichte wie eine Tatsache behandelt wird. Dieses Prinzip hat in Art. 281 Absatz 2 der spanischen Zivilprozessordnung seinen Niederschlag gefunden. Nach dieser Vorschrift ist das ausländische Recht in Bezug auf seine Geltung und seinen Inhalt zu beweisen. Zwar sieht das Gesetzt insoweit auch vor, dass das Gericht zur Ermittlung des Inhalts der fremden Rechtsordnung sich aller zulässigen Mittel bedienen kann, um sich hierüber Kenntnis zu verschaffen. Die spanischen Gerichte interpretieren die Vorschrift aber gerade nicht so, dass ihnen damit die Aufgabe der Ermittlung des geltenden ausländischen Rechts zufiele. Vielmehr wird das Gesetz so verstanden, dass dem Gericht lediglich die Option eingeräumt wird, sich über das ausländische Recht zu informieren. Von dieser Möglichkeit machen die spanischen Gerichte aber in den seltensten Fällen Gebrauch. Erbringt nicht eine der Prozessparteien den Nachweis des anwendbaren ausländischen Rechts, kann es nur in dem –in der Praxis allerdings kaum einmal auftretenden - Fall einer Entscheidung zu Grunde gelegt werden, wenn der Richter „zufällig“ in der fremden Rechtsordnung rechtskundig ist. Im Ergebnis muss nach spanischem Prozessrecht demgemäß derjenige, der aus der Anwendbarkeit einer ausländischen Rechtsordnung Vorteile herleiten will, deren Inhalt und Geltung im Prozess beweisen.
3.
Wird der Nachweis der Geltung und des Inhalts des an sich auf den Sachverhalt anwendbaren fremden Rechts nicht oder nur unzureichend erbracht, bleiben im Prinzip zwei Lösungsmöglichkeiten:
- derjenige, der sich auf die Anwendbarkeit des fremden Rechts beruft, dieses aber nicht nachweist, verliert den Rechtsstreit oder
- das Gericht bringt in der Sache sein eigenes – das spanische – Recht zur Anwendung.
Der Oberste Gerichtshof hat sich inzwischen wiederholt (so z.B. mit Urteil vom 10.06.2005) zur zweiten Rechtsauffassung bekannt. Spanische Gerichte wenden unter diesen Umständen also spanisches Recht an, obwohl der Sachverhalt eigentlich nach einem fremden Recht (z.B. deutschem Recht oder, wie hier, dem Recht von Georgia) zu beurteilen wäre.
4.
Der vorbezeichneten Ansicht des Obersten Gerichtshofs hat sich auch das Berufungsgericht von Alicante in dem eingangs geschilderten Rechtsstreit angeschlossen. Die Beklagte hatte durch die Behauptung, das Recht des US-Bundesstaates Georgia sei anwendbar, versucht, einer Verurteilung zu entgehen. Die Audiencia Provincial stellte aber fest, dass das angeführte fremde Recht nur zu berücksichtigen gewesen wäre, wenn dessen Inhalt und seine Auslegung nachgewiesen worden wären. Dies sei aber nicht erfolgt, weshalb der Rechtsstreit nach spanischem Recht zu entscheiden sei. Auf Grundlage des spanischen Rechts hatte das erstinstanzliche Gericht aber richtig geurteilt. Eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem für die Beklagte u.U. günstigeren Recht des US-Bundesstaates Georgia konnte in dem Urteil deshalb unterbleiben.
III. Ergebnis
Möchte sich eine Prozesspartei vor einem spanischen Gericht erfolgreich auf die Anwendung eines ihr günstigen ausländischen Rechts berufen, ist sie nicht nur gehalten, die Tatsachen in dem Prozess zur Sprache zu bringen, die das Gericht davon überzeugen, dass der Sachverhalt einer (aus spanischer Sicht) fremden Rechtsordnung unterliegt. Zentrale Bedeutung kommt dem Nachweis des auf den Sachverhalt anwendbaren ausländischen Rechts, d.h. seiner Rechtsvorschriften und Interpretation zu.
Da teilweise davon ausgegangen wird, dass fremdes Recht in einem spanischen Rechtsstreit nur dann zur Anwendung gelangen kann, wenn es bereits in einem sehr frühen Stadium (entweder in der Klage oder der Klageerwiderung) angeführt wird, empfiehlt es sich, den Rechtsstreit – sei es auf Kläger- oder Beklagtenseite – sorgfältig und frühzeitig vorzubereiten.
Wie sieht wird Nachweis des ausländischen Rechts konkret erbracht? Der Nachweis ist an strenge Anforderungen geknüpft. Die Audiencia Provincial de Alicante legt den Maßstab auch unter Verweis auf eigene frühere Entscheidungen hoch an. Das Gericht wendet das ausländische Recht schon dann nicht an, wenn es seine Entscheidung nicht „mit absoluter Sicherheit darauf stützen kann.“ Wann aber ist diese Gewissheit gegeben? Aus früheren Entscheidungen des Oberstern Gerichtshofs geht hervor, dass die Einreichung eines (in spanischer Sprache vorliegenden) Rechtsgutachtens ausreicht, das durch zwei in dem Staat, dessen Recht zur Anwendung steht zugelassene Rechtsanwälte verfasst und unterzeichnet wurde. Das Gutachten muss die Geltung des anwendbaren Rechts verbürgen und umfassend seine Auslegung belegen.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten und der Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaft unterscheiden sich das spanische und das deutsche Recht doch noch immer in vielerlei Hinsicht erheblich. Wer nach deutschem Recht obsiegen würde, kann deshalb bei gleich gelagertem Sachverhalt nach spanischem Recht vor Gericht unterliegen. Um diesem Fall zuvorzukommen empfiehlt es sich, in dem Prozess ein den Vorgaben des spanischen Obersten Gerichtshofs entsprechendes Gutachten zum deutschen Recht vorzulegen. Durch unser zweisprachiges Rechtsanwaltsteam können entsprechende Rechtsgutachten zum deutschen Recht unmittelbar in spanischer Sprache erstellt werden. Durch diese Verfahrensweise werden nicht nur Übersetzungskosten eingespart. Weiterhin ist durch die Abfassung des Gutachtens unmittelbar in spanischer Sprache auch gewährleistet, dass das Gutachten nicht seinerseits durch einen Übersetzer interpretiert werden muss. Mit einer Übersetzung können je nach Qualität derselben in Einzelfällen (vermeidbare) Informationseinbußen verbunden sein.
Frankfurt am Main, den 22.01.2010
Dr. Alexander Steinmetz, Mag.iur.
Rechtsanwalt